Die Lichtensteinfestspiele - 1. Freilichttheather Württembergs (1901-1903)
Rudolf Lorenz, Direktor des Theaters in Halle, hatte 1899 die Idee, zum 100. Geburtstag von Hauff, den Roman Lichtenstein unter der Burg Lichtenstein aufzuführen. 1900 reiste er nach Honau und traf dort Johann Ziegler, Entdecker der Olgahöhle. Die Olgahöhle war die erste Höhle Deutschlands, die 1884 mit Strom beleuchtet wurde und die, verbunden mit der Burg Lichtenstein, Honau zu einem touristischen Hotspot und Kurort machte. Ziegler kaufte eine große Wiese in Honau und damit wurde die Idee konkret. Die Suche nach Sponsoren begann und schon ein Jahr später wurde ein Komitee aus Kaufleuten gegründet. Den Vorsitz hatte der Papierfabrikant Laiblin aus Pfullingen.
Innerhalb weniger Wochen wurde das Festspielhaus in gigantischem Ausmaß und mittelalterlichem Stil errichtet - eine Konstruktion aus Balken und Planen. Insgesamt umfasste es eine Fläche von 1.500 m² und bot Platz für 1.500 Plätze, 200 Logen und 300 Stehplätze. Die Bühne hatte eine Gesamtfläche von 200 m². Das Festspielhaus wurde elektrisch beleuchtet, sogar ein Motor für den Bühnenvorhang wurde installiert. Vor der Bühne gab es einen Orchestergraben.
Am Pfingstmontag im Jahr 1901 fand die Premiere mit 150 Laienschauspielern statt. Sie kamen von Stuttgart bis zum Albtrauf, wobei ein großer Teil aus Großengstingen kam, dem ersten katholischen Dorf auf der Alb. Die übrige Region war sehr pietistisch geprägt und Schauspiel am Wochenende entsprach nicht den religiösen Vorschriften. Die Schauspieler waren zwischen 16 und 71 Jahren alt. Herzog Wilhelm Karl von Urach kam mit seiner Gemahlin zur Premiere. Im Juni kam sogar das Königspaar aus Stuttgart. Pro Saison gab es 8-12 Aufführungen. Der erste Teil des Romans wurde 1901 und 1902 aufgeführt. Der zweite Teil dann im Jahr 1903. Für die Besucher wurden Sonderzüge mit Fahrten zum halben Preis angeboten. Die Schwarzwälder Kreiszeitung schrieb am 03. Juni 1901: „Der gestrige Spieltag veranlasste eine wahre Völkerwanderung nach dem lieblichen Echaztale. Schon die Frühzüge brachten große Scharen von Besuchern aus allen Gegenden unseres Landes, darunter mehrere Vereine.“ Im Jahr 1902 kamen mit der Württembergischen Staatsbahn über 46.000 Besucher*innen nach Honau.
Anfangs dauerte das Stück 4 Stunden, darin enthalten waren lange Umbauzeiten. Es musste nach und nach auf 3 Stunden, später sogar auf 2,5 Stunden gekürzt werden. Um Mitternacht wurden die Besucher*innen mit Sonderzügen wieder nach Hause gebracht. Zu der damaligen Zeit hatte Honau ca. 540 Einwohner*innen. Nach dem ersten Jahr verabschiedete sich Rudolf Lorenz. Vermutlich hatte er neue Ideen oder es lag an seinem sächsischen Dialekt, welcher die Zuschauer*innen belustigte. Im zweiten Jahr kämpfte man mit dem Wetter und es war schwierig, nochmal genug Darsteller*innen zu gewinnen.
Schließlich wurde der Beschluss gefasst, das Projekt im Jahre 1903 wieder zu beenden, was dazu führte, dass nur noch der zweite Teil des Romans geprobt wurde. Im August 1903 kam das Königspaar noch einmal zur Abschlussvorstellung und ernannte Laiblin zum Ehrenbürger von Honau. In der kurzen Zeit konnten nicht alle Unkosten eingespielt werden. Es blieben 20.000 Mark übrig. Daher wurde die Festspielhalle zum Abbruch verkauft, die letzten 14.000 Mark zahlte Ernst Laiblin aus seiner Privatschatulle. Aus dem Auge aus dem Sinn. Nichts mehr war optisch übrig und das gigantische Ereignis geriet schnell in Vergessenheit.
Rudolf Lorenz
Schriftsteller und Regielehrer
Rudolf Lorenz (1866 - 1930) hielt sich im Sommer des Jahres 1900 in Honau auf und fand in Johann Ziegler einen begeisterten Gleichgesinnten. Lorenz leitete damals in Halle an der Saale eine Theater- und Redekunstschule. Durch ein von ihm verfasstes Festspiel über den pietistischen Pädagogen August Hermann Francke, welches er 1899 sogar vor dem württembergischen Königspaar aufführte, hatte sich der Schriftsteller und Regisseur in Baden-Württemberg einen Namen gemacht. Sein Aufenthalt in Honau eröffnete ihm nun ein neues Betätigungsfeld: Schon im November 1900 veröffentlichte er „Lichtenstein. Ein deutsches Spiel in 9 Vorgängen nach Hauffs romantischer Sage“. Da er manchmal sächselte, was das Publikum – bei aller Tragik – amüsierte, wurde die Rolle des Herzog Ulrich nur im ersten Spieljahr von ihm selbst gespielt. Rudolf Lorenz verfasste zwischen 1900 und 1903 zwei Lichtensteinfestspiele, Teil 1 und 2 des Romans. Ihm gelang nach den Lichtensteinfestspielen noch ein weiterer Erfolg in Württemberg: 1906 wurde unter seiner Regie sein Volksschauspiel „Unter der Reichssturmfahne“ (frei nach Scheffels Roman „Ekkehard“) auf dem Hohentwiel von rund 500 Laienspielern aufgeführt. Auch hier war dafür ein Festspielhaus im frühmittelalterlichen Burgenstil errichtet worden.
Johann Ziegler
Durch Johann Ziegler veränderte sich nicht nur Honau, sondern die ganze Region. Sie öffnete sich für den Tourismus und die Menschen im Tal entdeckten neue Verdienstmöglichkeiten. Die Fremdenverkehrswelle begann in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Bahnlinie und der Beleuchtung in der Olgahöhle, darüber sichtbar war das Schloss Lichtenstein. Geboren wurde Johann Ziegler am 01. Juli 1849 in Ulm. Er wuchs auf Schloss Lichtenstein auf. Sein Stiefvater, Johann Strobach, war dort einst Schlossverwalter. Am 23. Juni1930 starb er kurz vor seinem 81. Geburtstag. 1862 zog die Familie Ziegler nach Honau, Johann war zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt. Sein Stiefvater kaufte sich in einen Steinbruch der Familie Stahlecker ein. Er arbeitete im elterlichen Betrieb und entdeckte dabei 1874 den größten Teil der heutigen Olgahöhle. 1975 wurde die Schauhöhle eröffnet und bekam den Namen der Königin von Stuttgart.
Knapp 10 Jahre später, im Jahr 1884 wurde die Höhle als erste Schauhöhle Deutschlands elektrisch beleuchtet. Mit den Jahren stieg auch der Besucherandrang, insbesondere die Stuttgarter Bürger*innen wollten die Olgahöhle besuchen. 1892/1893 wurde die Bahnstrecke eröffnet, welche – trotz des steilen Berghangs – bis nach Honau führte. Johann Ziegler kämpfte bis zu den Festspielen um die Schankerlaubnis, die übrigen wirte in Honau hatten kein Interesse an Konkurrenz. Da die übrigen Wirte durch den Besucherdrang der Festspiele jedoch völlig überfordert waren, ermöglichte ihm dies letztendlich doch noch seine Schankerlaubnis. Sodann wurde ein Gasthof mit Café und beleuchtetem Springbrunnen in der Echaz gebaut. Durch den Sieg über die Franzosen im Jahr 1871 herrschte eine sehr patriotische Stimmung. Aus dieser Stimmung heraus entstand eine Welle von Interessengemeinschaften und Vereinen. Johann Ziegler stand in Honau an der Spitze dieser Bewegung.
Er war 30 Jahre lang Gemeinderatsmitglied und während des Kriegs stellvertretender Ortsvorsteher. Er sorgte für die Gründung einer Darlehenskasse in Honau, war Mitbegründer des Militärvereins und 40 Jahre dessen Vorstand. Zudem war er 24 Jahre Mitglied des Bezirkskriegervereins, Mitbegründer der Freiwilligen Feuerwehr und viele Jahre deren 1. Kommandant. Johann Ziegler gründete einen Verschönerungsverein mit dem Ziel die Wanderwege auszubauen und die Traifelbergfelsen zu erschließen. Von ihm stammt die Idee der Felsenkasse, die seine privaten Auslagen ausgleichen konnte und die Pflege der Wege ermöglichen. Sie besteht noch heute. Später gingen die Aufgaben an den Albverein über. Im Jahr 1905 wurde der Turn- und Sportverein gegründet, natürlich mit Johann Ziegler, der aber schon vorher den Jugendlichen einen Turnplatz bei der Olgahöhle zur Verfügung gestellt hatte. Da es lange Zeit keinen offiziellen Sportplatz gab wurde weiterhin beim „Ziaglr“ geturnt. Neben den Vereinen hat er sich für eine Kinderschule eingesetzt, die 1890 in Honau gebaut wurde. Sie existierte bis 1925.